Fulvia Rota
In den letzten Jahren zeigte das Bundesgericht bzgl. Rentensprechung bei leichten und mittelgradigen Depressionen eine sehr restriktive Haltung. Gemäss Rechtsprechung galten diese nur dann als invalidisierend, wenn alle Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft worden waren und nachgewiesen werden konnte, dass eine Therapieresistenz vorlag. Ein Nachweis, der praktisch nicht zu erbringen war. Entsprechend zahlreich waren die Kritiken von Seiten der Psychiater und Juristen.
Das BG hat im November 2017 diese Praxis revidiert und von der Forderung, dass alle Therapiemöglichkeiten auszuschöpfen sind, Abstand genommen. Die Lausanner Richter sind in zwei entsprechenden Urteilen zum Schluss gekommen, dass sich psychische Krankheiten nur beschränkt anhand objektiver Kriterien feststellen oder gar beweisen lassen. (Urteile 8C_841/2016 und 8C_130/2017 vom 30. 11. 17 – BGE-Publikationen.)
Die IV und die Gerichte dürfen sich nun bei psychischen Leiden nicht allein auf die ärztliche Diagnose abstützen, denn die Diagnose allein sage in vielen Fällen nichts darüber aus, wie stark die Person in ihrer Arbeits- und Leistungsfähigkeit eingeschränkt sei; und gerade diese Einschränkung sei aber massgebend für den Anspruch auf eine IV-Rente. Auch das alleinige Kriterium der Therapierbarkeit sei im Falle von psychischen Erkrankungen weder sachlich geboten noch medizinisch abgestützt. Dabei halten die Lausanner Richter aber auch fest, dass eine fachgerecht gestellte medizinische Diagnose und eine entsprechende Einordnung für den Anspruch auf eine IV-Rente nach wie vor Voraussetzung sind.
Das Vorgehen zur Klärung des Anspruchs auf eine IV-Rente wird künftig für alle psychischen Erkrankungen angewendet werden müssen, gerade auch bei leichten bis mittelschweren Depressionen. D.h. dass künftig bei allen psychischen Leiden im Einzelfall nach einem klar strukturierten Verfahren geprüft werden muss, was die erkrankte Person noch zu leisten vermag. Dabei gilt es, das tatsächliche berufliche Leistungsvermögen des Versicherten gesamthaft und ergebnisoffen abzuklären. Das Verfahren stellt auf Indikatoren ab, mit deren Hilfe ermittelt werden soll, ob und beziehungsweise in welchem Umfang der Versicherte arbeiten kann. Berücksichtigt werden die medizinischen Befunde, allfällige Therapien und deren Wirkung, berufliche Eingliederungsbemühungen, mögliche Begleiterkrankungen, das soziale Umfeld des Versicherten und dessen geltend gemachte Einschränkungen im Alltag. Die Beweislast liegt dabei nach wie vor beim Versicherten.
Es sieht also so aus, als wolle das BG das Augenmass behalten und dem Einzelfall gerecht werden. Ob dem wirklich so sein wird, wird die Zukunft zeigen müssen.